Offenheit ist Trumpf
Authentizität, Glaubwürdigkeit, Transparenz und vor allem Ehrlichkeit im Recruiting: Das sind die Eigenschaften, die Kandidaten von einem potenziellen Arbeitgeber im Bewerbungsprozess erwarten. Sich als Unternehmen zu „entblößen“ erfordert jedoch Mut und viele Unternehmen stehen hierzulande beim Konzept der Transparenz noch am Anfang. Die Vorreiter kommen wie so oft von jenseits des großen Teiches mit teilweise sehr radikalen Ansätzen. Wie Schwächen zu Stärken werden und wo Transparenz ihre Grenzen hat erfahren Sie in diesem Beitrag.
Floskeln, wohin man schaut
Teamarbeit, langfristige Perspektiven, attraktive Aufgaben und eine ausgewogene Work-Life-Balance: Eine Vielzahl aktueller Jobanzeigen setzt auf wohlbekannte Buzzwords. Anstatt Talente mit einer persönlichen Note anzusprechen, sorgen diese austauschbaren Floskeln vor allem für eines: vollkommene Einheitlichkeit. Kein Wunder, dass der begehrte Nachwuchs sich im seltensten Fall durch den schönen Schein blenden lässt und lieber gleich den Weg ins Netz sucht, um nach vermeintlich echten Aussagen zu suchen.Unternehmen können diesem Wunsch aktiv begegnen und im Kampf um die besten Talente wertvolle Punkte sammeln. Kandidaten wünschen sich Arbeitgeber zum Anfassen, die einen ehrlichen und ungeschönten Einblick ins Unternehmen gewähren, zu ihren Schwächen stehen und die interne Firmenkultur so durchsichtig wie möglich gestalten.
Trend aus USA
Während Unternehmen hierzulande noch zögern, alles von sich zu zeigen, haben Vorreiter in den USA bereits den Schritt gewagt und die radikale Transparenz umgesetzt. Das Social-Media-Start-up Buffer aus San Francisco etwa legt Firmengehälter offen, twittert Arbeitsfortschritte seiner Mitarbeiter im Stundentakt und lässt User sogar wissen, wann die zehnminütigen Meditationspausen stattfinden. Vor kurzem erst hat die Firma zudem die interne Formel veröffentlicht, nach der die Gehälter aktueller und zukünftiger Mitarbeiter berechnet werden.Der Onlineshop Everlane wiederum orientiert sich bei seinen Transparenz-Prinzipien an der offenen Küche in Restaurants: Wo anderweitig Gemüse blanchiert und Steaks gebraten werden, legt das Unternehmen hier sämtliche Herstellungsprozesse seiner Kleidungsstücke offen und überzeugt potentielle Kandidaten mit seiner ethischen und sozialen Einstellung in der Textilproduktion.
Eigene Schwächen als Alleinstellungsmerkmal
Radikale Ehrlichkeit kann die Employer Brand stärken. Amazon-Chef Jeff Bezos etwa stellt die bekannt harten Arbeitsbedingungen seiner Firma als Alleinstellungsmerkmal dar: „Du kannst entweder hart, lang oder smart arbeiten. Bei Amazon kannst du dir aber nicht zwei davon aussuchen.“ Er hat erkannt, dass der Hinweis auf Schwächen und Herausforderungen im Unternehmen von Vorteil sein kann. Diese finden Kandidaten ohnehin raus, indem sie Arbeitgeberbewertungen im Internet lesen oder Presseartikel über das Unternehmen recherchieren – und nichts löst so tiefes Misstrauen bei Talenten aus wie ein Unternehmen, das zu seinen Schwachstellen schweigt und so tut, als wäre alles eitel Sonnenschein.
Wer hingegen seine Schwächen offen kommuniziert, sorgt nicht nur für eine glaubwürdige Arbeitgebermarke, sondern sticht auch aus der Masse heraus. Statt seitenlanger Hochglanzbroschüren, gefüllt mit schönen Worten, bekommen Kandidaten so ein Gefühl für den tatsächlichen Charakter eines Unternehmens und können sich schon vorab überlegen, ob sich eine Bewerbung für sie lohnt. Der Talentepool siebt sich damit quasi von selbst aus und übrig bleiben Kandidaten, die sich mit dem, was sie vorab über das Unternehmen erfahren haben, identifizieren können. Denn was bringt es einem Unternehmen, viele Bewerbungen zu bekommen, wenn sie am Ende jemanden einstellen, der nach kurzer Zeit wieder kündigt, weil er völlig falsche Erwartungen hatte?
Grenzen der Transparenz
Trotz aller Vorteile bergen Offenheit und Ehrlichkeit auch Gefahren, denn das Konzept der radikalen Transparenz funktioniert nicht immer und überall. Vor allem die Kommunikation von Gehältern ist in Deutschland traditionell ein sensibles Thema. Informationen zu Mitarbeitern über externe Kanäle nach außen zu tragen, ist ebenfalls mit viel Vorsicht zu handhaben. Nicht umsonst gilt die neue Datenschutz-Grundverordnung als Schreck aller Kommunikationsverantwortlichen. Wer jedoch einen Blick hinter die Kulissen gewährt und eine offene Fehlerkultur offenbart, kann auch ganz ohne Radikalität Sympathiepunkte bei Jobsuchenden ernten.
Visionen kommunizieren
Innerhalb der Firma ist Transparenz das Mittel der Wahl, um Mitarbeiter zu motivieren und auf das große Ganze einzuschwören. Nur wer weiß, wohin die Reise geht, bringt sich gerne ein und arbeitet aktiv am Erreichen der Unternehmensziele mit.
Mitarbeitern offen zu kommunizieren, was in den letzten Monaten gut und was schlecht gelaufen ist, baut Vertrauen auf und gibt das Signal, dass sich die Führungsetage aktueller Probleme bewusst ist und daran arbeiten möchte.
Erfolge und Herausforderungen, vielleicht sogar auch eine Niederlage, systematisch on- oder offline für alle zur Verfügung zu stellen, zeigt nicht nur die Wertschätzung eines Unternehmens seinen Mitarbeitern gegenüber – es kann auch den Funken einer Idee zünden, der die Firma in Zukunft ganz nach vorne katapultiert.